Evangelischer Arbeitskreis Sachsen-Anhalt

Das Verhältnis von (evangelischer) Kirche und Staat

oder die Zwei-Regimenten-Lehre nach Luther

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott
(Röm 13,1).
Ministerin Anne-Marie KedingMinisterin Anne-Marie Keding
Im letzten Jahr waren sowohl bei der Verabschiedung von Frau Junkermann als auch bei der Amtseinführung von Friedrich Kramer als neuer Bischof der EKM neben der Domgemeinde und zahlreichen kirchlichen Würdenträgern aus nah und fern auch beide Male die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Thüringen zugegen, um einmütig ihre Glückwünsche zu übermitteln. Das ist nicht alltäglich, zwei Ministerpräsidenten und dann in engem zeitlichen Zusammenhang zu zwei Terminen einer wichtigen und einflußreichen Organisation, die aber nicht zum politischen oder staatlichen Raum gehört! Worauf beruht das, wo kommt das her?

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat war, betrachtet über viele Jahrhunderte, kompliziert, konfliktträchtig und auch von Verquickung geprägt, beispielhaft seien hier nur der Investiturstreit (1075-1122) und der Kulturkampf (ab 1871) genannt. Es lohnt sich daher auch heute, zumindest kursorisch, die lutherische Idee des Zusammenwirkens von Kirche und Staat zu betrachten.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Vorstellung vom „corpus christianum“, der Einheit  zwischen weltlicher Herrschaft und Religion. Diese resultiert aus der im Jahr 380 durch Kaiser Theodosius erfolgten Erhebung des christlichen Glaubens zur Staatsreligion des Römischen Reiches und schloss damit die konstantinische Wende ab. Sinnbildlich besteht seitdem zwischen Altar und Thron ein Bündnis.(1) Damit ist jedoch noch nichts über die Ausgestaltung und das Verhältnis der beiden Machtpole gesagt. Zur Darstellung dieser ist ein Rückgriff auf die Zwei-Schwerter-Lehre, die scharf von der lutherischen Idee abzugrenzen ist, unerlässlich.

In ihrer ursprünglichen Form ordnet diese das weltliche Schwert dem Kaiser und das geistliche Schwert dem Papst zu, ohne dass es zwischen beiden Gewalten ein Konkurrenzverhältnis gab. Diese Lehre wurde von kirchlicher Seite im weiteren Lauf der Geschichte, vielfach auch auf Grund der schwachen Stellung der weltlichen Herrscher, abgewandelt, angepasst und so zur eigenen Machtsicherung genutzt. Kern dieser nun entwickelten Dogmatik war, dass sich beide Schwerter in der Macht der Kirche befanden. Das weltliche durfte lediglich mit „Zustimmung und Duldung“ der Kirche respektive des Papstes durch die weltlichen Herrscher (für die Kirche) geführt werden. Diese Doktrin ließ den absoluten päpstlich-kirchlichen Herrschaftsanspruch deutlich hervortreten und zementierte diesen sowie die Verflechtung mit der Obrigkeit für viele Jahrhunderte.(2) Sichtbaren Ausdruck findet dieses Verhältnis darin, daß der Papst den Kaiser krönte – erst Napoléon hat sich selbst zum Kaiser gekrönt.

In Abkehr von diesen politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten unterschied Luther deutlich zwischen dem Geistlichen und Weltlichen. Nach seiner Vorstellung gab es das Reich Gottes, welches alle wahrhaft Glaubenden (Christen) umfasste und das Reich der Welt, welches aus der Gemeinschaft der Gott entfremdeten Menschen bestand. Zusätzlich führt er in der für die Thematik maßgeblichen Schrift „Von der weltlichen Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldet“ die Regimenter (Regierweisen) ein –  das geistliche und das weltliche Regiment. Beide Regimenter lassen sich danach nicht ausschließlich dem einem oder dem anderen Reich zuordnen, vielmehr sind diese jeweils Regierweisen Gottes, die von Gott an die Menschen delegiert sind.(3) Das geistliche Regiment wirkt ausschließlich durch das Wort (Gottes) und genügt zur Führung der wahrhaft Glaubenden, ohne dass weitere Regeln oder gar Zwang erforderlich wären. Im lutherischen Verständnis ist es eine Herrschaft über das Innere, das Gewissen und die Seele, frei von weltlichen Herrschaftsansprüchen. Demgegenüber bedient sich das weltliche Regiment des symbolischen (bisweilen auch wörtlichen) Schwertes in Form von Gesetz, Strafe und Zwang, denn so Luther:  „… wenn es kein weltliches Regiment gäbe, könne kein Mensch vor dem anderen sicher sein; einer würde den andern auffressen, wie es die unvernünftigen Tiere untereinander tun.“(4)

Die (göttliche) Aufgabe, die Menschen vor dem Rückfall in den Naturzustand zu schützen, legitimiert und limitiert das weltliche Regiment und verpflichtet damit gleichzeitig alle Menschen, auch den guten Christen, zum Gehorsam vor der Obrigkeit. Ausgenommen davon, da nur für Gott bestimmt, sind die Angelegenheiten der Seele, beispielhaft sei hier die Gewissensfreiheit genannt. Die konkrete Organisation der weltlichen Herrschaft ist für Luther wohl nicht von primärer Bedeutung, vielmehr muss der Maßstab des Handelns der Obrigkeit die – auf Gott zurückzuführende – Vernunft und seine (Zehn) Gebote sein. Er fasst dies prägnant zusammen: Nicht Faustrecht, sondern Kopfrecht, nicht Gewalt, sondern Weisheit oder Vernunft müssen regieren – unter den Bösen wie unter den Guten.(5)

Im Zuge der Reformation wechselten anders als in Skandinavien und England die deutschen Bischöfe in ihrer großen Mehrheit nicht zur Reformation über, so dass es nicht möglich war, die hergebrachte kirchliche Verwaltungsorganisation (Diözesansystem)  unter dem Vorzeichen des neuen Bekenntnisses weiter bestehen zu lassen. Martin Luther setzte sich daher in Anwendung der Zwei-Regimenter-Lehre dafür ein, dass stattdessen die weltlichen Landesherren behelfsweise die bischöfliche Funktion in ihren Territorien ausüben sollten. Dieser „Behelf“ wurde als provisorische Regelung wie so viele andere Provisorien davor und danach zum Dauerzustand. Das „landesherrliche Kirchenregiment“ etablierte sich über die Jahrhunderte als Herrschaft, die die Territorialfürsten oder städtischen Magistrate durch hierzu eingesetzte Behörden (Konsistorien) sowie durch Superintendenten bzw. Generalsuperintendenten über die kirchliche Organisation ausübten. Immerhin bis zur Abschaffung der Monarchie in Deutschland 1918 waren die Landesherren im administrativen Bereich Landesbischöfe, und die Bindung von Kirche und Staat dadurch besonders eng. Das galt seit dem 18. Jahrhundert auch bei Landesherren anderer Konfession. So war der (römisch-katholische) König von Bayern zugleich oberster Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.(6)

Wenn also gleich zwei Ministerpräsidenten der scheidenden Landesbischöfin und dem kommenden Landesbischof ihre Reverenz erweisen, so mag das auch auf die Jahrhunderte alte Personalunion von Landesherr und Landesbischof zurückzuführen sein.

Das Zusammenwirken von Staat und Kirche erleben wir heute in vielen Formen: angefangen von den kirchlichen Feiertagen, deren Würdigung gesetzlich festgeschrieben und garantiert wird, über die Erhebung von Kirchensteuern durch staatliche Finanzämter im Auftrag der Kirche bis hin zur Erteilung von Religionsunterricht durch Beauftragte der Kirchen in den staatlichen Schulen oder den jährlichen Staatsleistungen als Ausgleich der Enteignungen durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803. Für das aktuelle Verhältnis zwischen Kirche und Staat können den lutherischen Überlegungen zwei augenfällige Gedanken entnommen werden. Zum einen sind da die beiden Regimenter, die (streng) voneinander zu trennen, aber letztlich doch aufeinander angewiesen sind und die  nicht ohne den jeweils andere sein können. Zum anderen hat sich jedes Regiment im Sinne des Subsidiaritätsgedankens auf seine Kernaufgaben zu beschränken und damit den Boden für ein gedeihliches, vielfältiges und friedliches Zusammenleben zu bereiten.

(1) Peter Unruh Reformation Staat Religion S. 10f.
(2) Peter Unruh Reformation Staat Religion S. 11ff.

(3) Peter Unruh Reformation Staat Religion S. 26ff.

(4) Luther: Predigt, dass man Kinder in die Schule schicken soll S.755.
(5) Luther: Predigt, dass man Kinder in die Schule schicken soll S.757.

(6) Vgl. dazu den Artikel bei www.wikipedia.de, Landeskirchen in Deutschland, Zitat vom 28.4.2020

 

Dazu sehr lesenswert Nikolaus Schreiber Gemeinsame Ringvorlesung von Universität und Fachhochschule der Stadt Erfurt – Reformation und Politik: Vom Segen der Subsidiarität – Das Verhältnis von Religion und Politik als bleibende Gestaltungsaufgabe. 

Anne-Marie Keding

Mitglied im EAK-Landesvorstand
Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt

Dieser Artikel ist im EAK- Rundbrief zu Pfingsten 2020 erschienen.